Im Frühling 2024 war ich mit meinem Leben so fertig, dass ich nur noch in eine Traumaklinik wollte. Ich bin zwar wieder raus gegangen, aber Panikattacken und Todesängste bei den kleinsten Entscheidungen waren meine ständigen Begleiter. Ich bin regelmäßig zwischen 4 und 5 das erste Mal wach geworden und meine einzigen Gedanken waren "Ich muss hier weg, ich schaffe das alles nicht mehr!"
Aber die Wartezeit für einen GKV Platz betragen nun mal 24 Monate. Einen Platz in einer Privatklinik hätte ich sofort haben können - aber die Zuzahlung von 25.000 € hatte ich als Erwerbsminderungsrentnerin nicht auf der hohen Kante. Also habe ich mich mit dem Jakobsweg angefreundet und der Plan war, erstmal den Camino del norte zu laufen und dann noch für ein paar Wochen irgendwo ein Zimmer zu mieten und zu malen und zu schreiben. Mein Mann hat dafür seine Arbeitszeit reduziert, um sich in meiner Abwesenheit um unseren schulpflichtigen Sohn zu kümmern.
Die Wochen vor der Abreise habe ich ziemlich verdrängt, dass ich den Schritt raus aus der Familie wagen werde. Ich wollte es nicht wahrhaben, dass ich es zuhause nicht schaffe. Solange ich zuhause war, konnte ich davon träumen, wie schön es sein müsste ganz ohne Verpflichtungen zu sein und sich nur um sich selbst kümmern zu müssen. Spaziergänge mit dem Hund machte ich ja eh, aber abgesehen davon bestand mein Tag vorwiegend daraus, Kaffee zu trinken, zu rauchen, depressiv zu sein und dem ständigen Gedankenkarusell aus "Ich schaffe das alles nicht!" "Das ist alles so sinnlos!" "Ich bin so müde!" etc.
Selbst der Haushalt war mir zu anstrengend. Wenn es für dein Gefühl keinen Unterschied mehr macht, ob die Klamotten dreckig oder sauber sind, die Haare gewaschen oder ungewaschen und die Spüle dreckig oder sauber, dann investierst du keine Energie mehr in solche Sachen. Und wenn du dein ganzes Leben alles dafür getan hast, um perfekt zu sein und dann um dich herum und in dir drin so ein Chaos herrscht, dass du zwei Jahre zum sortieren bräuchtest, fällt die Motivation irgendetwas verändern zu können extrem gering aus.
Wie auch immer, irgendwann war es dennoch soweit. Die Ausstattung war bis auf Wanderschuhe - ich konnte mich einfach für kein Paar entscheiden und hab kurzerhand meine Sketchers vom Fallschirmspringen eingepackt - komplett. Meine Männer haben mich morgens zum Flughafen gebracht, der Abschied war tränenreich und hat sich ein bisschen nach Sterben angefühlt. Vom Flughafen Hannover ging es erstmal nach Frankfurt. Dort hatte ich 3 Stunden Aufenthalt und habe mir die Zeit - wie so oft - mit Kippen, Kaffee und durch den Flughafen wandern vertrieben. Und mir in meinen Sketchers die ersten Druckstellen gelaufen.
In Biarritz angekommen dann die nächste Herausforderung, den Bus nach Hendaye finden. Auch geschafft und von dort dann schließlich mit dem Zug nach Irun und die ersten Kilometer zu Fuß bis zur ersten Unterkunft. Ich hatte mir schon zuhause eine Pension gebucht, in der ersten Nacht wollte ich einen sicheren Schlafplatz und vor allem allein schlafen.
Um halb neun abends war ich dann endlich da. Aber die Pension war tatsächlich grauenhaft und der abend noch ziemlich holprig. Keine Gefühle von Freiheit und Abenteuer, sondern Heimweh und die Frage "Was zur Hölle mach ich hier überhaupt?" Ich hätte zu gern irgendwo Tapas gegessen, hab mich aber nicht getraut nochmal raus zu gehen. Also hab ich in der Pension gegessen und das Fleisch nach dem zweiten Bissen wieder ausgespuckt. Das hat so dermaßen gammelig geschmeckt und gerochen, dass ich mir das nicht antun wollte. Bin um 22h ins Bett, noch ein wenig gedaddelt und gegen 23h eingeschlafen.